Am Rande des Naturschutzgebietes „Ampermoos“ liegt Grafrath verkehrsgünstig in der Nähe der Autobahn München-Lindau und an der S-Bahn-Linie 4 Geltendorf-München. Den besonderen Reiz des Ortes macht seine Lage aus. Er entstand an der Stelle, wo das abfließende Wasser des Ammerseegletschers den Endmoränenwall durchbrach und sich im Lauf der Jahrhunderte als Amper tief in den Wall einschnitt. Noch vor dem Amperdurchbruch liegt das ursprüngliche Grafrath mit seiner Wallfahrtskirche, dann folgen im engen Tal und auf den Uferhöhen rechts und links der Amper die Ortsteile Unteralting und Mauern, Wildenroth und Höfen.
Der am häufigsten besuchte Ortsteil war und ist das alte Grafrath. In der Karolingerzeit ließ Graf Rath(o), später auch Rasso genannt, auf der damals noch Wörth genannten Insel zwischen zwei Flussarmen der Amper größere Flächen urbar machen, gründete dann ein Benediktinerkloster und errichtete eine Kirche, in der er sich sein Grab anlegen ließ. Die einmalige Atmosphäre der einsam im Ampermoos gelegenen Kirche und der Ruf des Grabes als Wunderstätte machten den Ort in ganz Süd- und Ostbayern und Tirol bekannt, so dass er schon im Mittelalter nicht mehr Wörth, sondern nach dem hier begrabenen und als heilig verehrten Mann St. Grafrath genannt wurde. Zu manchen Zeiten kamen bis zu 100 000 und mehr Menschen im Jahr hierher. Neben der Hoffnung auf Hilfe in den verschiedensten Notlagen war für viele Menschen eine Wallfahrt früher die einzige Form des „Tourismus“.
Die Anziehungskraft des Wallfahrtsortes ging im letzten Jahrhundert stark zurück, unter anderem weil der einmalige Charakter der Insel durch die durchgeführte Distrikts- bzw. Bundesstraße zerstört wurde, aber auch weil das Wirtshaus, das zu jeder Wallfahrt gehört, durch neue Eigentümer geschlossen wurde. Die künstlerisch bedeutsame Wallfahrtskirche, die in der Barockzeit (1688-1695) völlig neu über dem Grab des Grafen Rath errichtet und in der Rokokozeit (1753-1771) im Innern kunstvoll ausgestattet wurde, ist aber immer noch die Hauptattraktion von Grafrath und zieht viele Besucher an.
Die Burg des Grafen Rath lag auf dem höchsten Punkt des Moränenwalls südlich-östlich der Kirche. Im 17. Jahrhundert war dort noch die ehemalige, dem heiligen Michael geweihte Burgkapelle zu sehen, die heute nicht mehr vorhanden ist. Auf dem Bergsporn vor dem Michaelsberg errichtete der „Verschönerungsverein Grafrath-Wildenroth und Umgebung“ bald nach seiner Gründung 1919 einen Rundsitz, der unter dem Namen Parapluie bekannt ist. Von dort aus hat man einen unvergleichlichen Blick auf die darunter liegende Wallfahrtskirche.
Die übrigen Ortsteile wurden für den Tourismus erst entdeckt, als 1873 die Bahnlinie München-Lindau mit der Haltestelle „Grafrath“ eröffnet wurde. Der genannte Verschönerungsverein warb jetzt nicht mehr mit der Wallfahrtskirche, sondern - wie es in einem Flyer Ende der Zwanzigerjahre heißt - mit der „reinen, ozonreichen Luft“ mit dem „Landschaftsbild, auf welchem der Zauber des Unberührten und Naturwüchsigen liegt“, mit „Ruhebänken auf staubfreien Wegen“. Angeboten wurden in den beiden Dörfern Wildenroth und Unteralting bei 750 Einwohnern nicht weniger als 124 Fremdenbetten, 67 Betten in Gaststätten und 57 bei Privatfamilien. Durch den Ferntourismus und das Fehlen entsprechender Angebote ging die touristische Bedeutung von Grafrath nach dem 2. Weltkrieg zurück. Es fehlt aber auch heute in Grafrath nicht an attraktiven Angeboten für die Bewirtung und Beherbergung von Gästen.
Neben der Wallfahrtskirche besitzt Grafrath eine Reihe weitere Sehenswürdigkeiten, die einen Besuch lohnen. Da sind die beiden beeindruckenden Toteislöcher „Tiefes Tal“ am Weg von Unteralting nach Mauern und „Wolfsgrube“ nördlich des Schlossbergs von Wildenroth (Erklärungen auf Schautafeln an Ort und Stelle). Da ist die ausgedehnte Burganlage der Herren von Wildenroth aus dem 13. Jahrhundert auf der Uferhöhe nördlich von Wildenroth, genannt Schlossberg oder Kapplberg, fälschlicherweise auch Rassoberg, weil der Mühlenbesitzer von Wildenroth in der irrigen Annahme, dort habe die Burg des Grafen Rath/Rasso gestanden, im Jahre 1900 oben ein Rassodenkmal errichtete. Bemerkenswert ist des Weiteren der nahe beim Bahnhof 1881 angelegte „Forstliche Versuchsgarten“, der zu bestimmten Zeiten für Besucher geöffnet ist, mit rund 200 exotischen und heimischen Baumarten. Im ganzen Ort hat die Gruppe Agenda 21 in den letzten Jahren an verschiedenen schönen Plätzen Sitzgruppen aufgestellt, die zum Verweilen und Brotzeitmachen einladen: auf der Amperinsel bei der Nikolauskapelle im Ortzentrum von Wildenroth; am südlichen Dorfrand von Wildenroth auf dem Sportgelände; auf dem Weg von Unteralting zum Krugweiher mit weitem Blick über das ehemalige Wörth und das Ampermoos bis nach Kottgeisering; auf dem Hang unterhalb von Höfen zwischen Kinderkrippe und Hauptstraße; auf dem Hang westlich der Rassostraße mit Blick auf das Ampermoos, den Ammersee und die Alpen; zuletzt am Amperufer gegenüber der Rassokirche zwischen Bootsanlege- und Badeplatz und der 1913 errichteten und munter rauschenden Sohlschwelle. Grafrath ist von ausgedehnten Wäldern umgeben, die zum Wandern einladen. An den Wegen kann man unter anderem sagenumwobene Findlinge entdecken, so auf dem Weg nach Inning den „Teufelsstein“ oder auf dem Weg zur Sunderburg bei Schöngeising die sogenannten „Opfersteine“. Die schönste Beschreibung des Ortes und seiner unmittelbaren Umgebung findet sich in den „Erinnerungen“ des bekannten Komponisten Carl Orff, der darin Unteralting als seine „zweite Heimat“ bezeichnet. Auf dem Friedhof in Unteralting ruhen seine Eltern und seine Tochter. Er selber verbrachte vom dritten Lebensjahr an die Sommerferien, vom elften Lebensjahr an bis zum Ende seiner Schulzeit auch die Wochenenden regelmäßig in Unteralting, wo seine Eltern ein Haus gekauft hatten.
(Dr. Ernst Meßmer)